Station 17

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Station 17 haben seit ihrer Gründung 1988 eine lange, weite und vielschichtige Reise hinter sich. Von frühen Momenten, die an abstrakte Hamburger Schulen erinnerten, über Kollaborationen mit einer Vielzahl von Elektronik- und HipHop-Musikern bis zum heutigen Status, den
Gitarrist und Bassist Peter Tiedeken wie folgt beschreibt: „Es geht nur um die einzelnen Künstler und wie die Gruppe die Stärken der einzelnen
Mitglieder nutzt. Wir sind eine heterogene Gruppe, die unterschiedlicher in den Geschmäckern kaum sein könnte. Das erzeugt eine
Vielzahl an Klangfarben und Nuancen, die man in anderen Bands wohl niemals findet.“
Die Kernidee seit dem letzten Album „Goldstein Variationen“, zu dem sich die Band komplett neu formierte, ist: Jedem eine Plattform zu bieten, um sich so individuell und charakterlich spezifisch wie möglich auszuleben. „Man braucht immer einen, der dich spiegelt in deinen Ambitionen, dich
womöglich auch konterkariert. Umso spannender wird das, wenn dies nicht nur ein Spiegel ist, sondern gleich fast ein ganzes Dutzend.“ Das Ergebnis ist: Man wird ständig mit Ideen konfrontiert, auf die man selber niemals käme. So entstehen die besonderen Momente, wie man sie in Reihe auf „Fieber“ findet. „Es ist sehr schön, in einer Gruppe zu musizieren mit Menschen, die sich überhaupt keine Songstrukturen merken können oder wollen“, so Peter. „Man hat dadurch gar keine andere Möglichkeit, als zu improvisieren. Das ist das Spannende: Man wird gezwungen, die Kontrolle zu verlieren und auf jede Form von gewohnter Struktur zu verzichten.“
In der jetzigen Besetzung gibt es Fachleute für jeden Bereich – da sind reine Techniker in der Band, pure Instrumentalisten, echte Songwriter und solche, die sich den zahlreichen Instrumenten auf eine eher spielerische Weise nähern.“ Durchgehend selbst produziert, entstand „Fieber“ unter hippiemäßigsten Bedingungen auf einem alten Landhof im Wendland – komplett mikrofoniert, randvoll zugestellt mit Instrumenten, Gerätschaften, Soundtools, die jederzeit für jeden bereit standen, um sich und seine Kreativität auszuprobieren. So findet sich auf „Fieber“ nun alles, was diese Zeit im Wendland prägte: Jedes Geräusch, das entstand, Störche, schaukelnde Menschen, die sommerliche Insektenplage des Landlebens, Stubenfliegen im Aufnahmeraum – jeder einzelne Moment konnte so Musik werden. Teils verfremdet und durch Klangschleifen gejagt, aber trotzdem: Die purste Version einer ‚Momentaufnahme’, wie sie jede gute Platte beinhalten sollte. Ein Haus, das Musik wird. Dank
ihrer Bewohner. 14 Tage lang wurde auf diese Weise völlig ungehemmt drauflos gejammt. „Das hat einerseits einen extremen Druck erzeugt, in zwei Wochen ein komplettes Album aus dem sprichwörtlichen Nichts heraus zusammenbekommen muss. Andererseits entstand auf diese Weise ein Werk aus reiner Intuition, das so niemals reproduzierbar ist.“ Der ultimative spontane Clash der Ideen, ohne Vorgaben oder Ansprüche des einzelnen, ohne einengendes Albumkonzept oder festgelegte Visionen – und auch ohne die Frage, ob das alles richtig ist, was gerade geschieht.
Natürlich wurden diese Jams geschnitten und verdichtet – doch auch hier gingen sie anders vor als üblich. Peter: „Immer dann, wenn Musiker denken, sie seien am schwächsten, sind sie oftmals am stärksten. Aus diesem Grund haben wir die Jams von hinten nach vorne geschnitten – das
Ausufernde, kaum noch Greifbare zuletzt, die Verdichtung zuerst. Jetzt bilden die letzten zwei Minuten einer Jam häufig den Anfang der Songs.“ Denn in diesen letzten Minuten fanden sich oft die Kernthesen, das melodiöse Thema, kurz: das ‚Auf den Punkt bringen’ aller vorheriger Spielerei und Improvisation.
So kommt es auch, dass „Fieber“ erstmals ein über weite Strecken instrumentales Station 17 Album geworden ist: Gesänge entstanden nur dann, wenn jemand aus der Gruppe spontan etwas mit seiner Stimme improvisieren wollte. Wollte keiner (und das war meistens der Fall), gab es eben auch keine Vocals. Die Texte, die sich jetzt auf der Platte finden, sind Unterhaltungen, eruptiver Dadaismus oder
spontane Kommentare zu einem nebenbei laufenden surrealen Film. Emotionen: ja, gern. Botschaften: Nein, bitte auf keinen Fall. Sagt da jemand gerade Krautrock? Ja, warum nicht: Unmittelbarer und unverfälschter als hier hat man die Ideale dieser spannenden deutschen Musik der 70er wohl seitdem nicht mehr auf Platte gebannt gehört. „Auch wenn das Genre als solches ja kaum zu greifen ist. Was haben Can, Kraftwerk und Neu! stilistisch schon miteinander zu tun? Aber prinzipiell gefällt uns eben diese Offenheit im Ansatz an Musik, die wir für ‚Fieber’ gern adaptiert haben. Zugleich gibt es auch Berge anderer Musik, die uns inspiriert haben. Nur typische Rocksongs: Die haben für uns keine Bewandtnis mehr.“
So treffend das beschrieben ist, so treffend ist auch der Titel: Man hört diesen elf Klangentwürfen – sie Songs zu nennen, würde zu kurz greifen – ihr Fieber in jeder Sekunde an. Es ist fiebrig gespielt, fiebrig erdacht, wie im Wahn zusammen addiert; es flirrt die Luft dank punktgenauer kleiner Dissonanzen und seltsamer Störgeräusche, es ist Musik, die durch das Zimmer simmert wie Staubatome im Sonnenlicht: Überall ist was, man sieht es, man spürt es – greifen kann man es hingegen nicht. Perfekt gemischt und in Stimmung gebracht wurden diese Musik-Gefühle hinterher größtenteils von einem Meister seines Fachs: Tobias Levin.
Wo „Goldstein Variationen“ mit seiner damals runderneuerten Bandbesetzung, mit mehr als 30 Gastmusikern und einer totalen Offenheit die Gelegenheit für Inspiration, Reflexion und Erweiterung des eigenen Kosmos bot, ist „Fieber“ in gewisser Weise das Gegenstück: Das ‚Do-it-Yourself-Prinzip’ in höchst spannender, weil eben auch gewollt abstrakter Weise. „’Fieber’ ist eine totale Ego-Platte, in aller guten Bedeutung des Wortes. Während der Arbeit haben wir nur an uns gedacht. Jetzt, wo wir auch an den Hörer denken, können wir nur hoffen, dass er die Transformation dieser Band zu etwas völlig Neuem mitgeht. Es wird sehr spannend sein, genau diese Transformationen alter und neuer Fans im Konzert zu beobachten. Denn grundsätzlich gilt: Glück und Unglück einer Idee liegen bei Station 17 immer ganz nah beieinander. Mit diesem Album haben wir allerdings verdammt viel Glück gehabt.“


JAHR: 2010
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